Als ich das Noch Besser Leben verlasse, finde ich ein Plakat in der Qualität, die Leipzig ausmacht. Es strahlt diesen eleganten PopGeist aus: zu intelektuell, zu unsexy… aber mit einer schönen, professionellen Glaubwürdigkeit.
In Leipzig organisieren die Studenten eine Kampagne gegeg Amazon, wegen der schrecklich prekären Arbeitsbedingungen in den AmazonFertigungbetrieben in Leipzig, von wo aus der Versandhändler die Pakete nach Deutschland und Europa liefert. Die Kampagne warnt nicht etwa davor, bei Amazon einzukaufen, sondern fordert zum kaufen auf, um die Lieferung sofort danach zurückzuschicken, mit einer Notiz, in der Solidarität, Würde und Gerechtigkeit eingefordert werden. Vielleicht ist der Plakatstil kühl, aber die Idee ist allenfalls sehr lyrisch.
Vom Programmierer zum CallcenterAgenten bis hin zu den rohen Arbeitskräften sind sie die Hauptkraft des Unternehmens und auch die erste Kraft des Konsums.Es erinnert an die Mitarbeiter von Henry Ford, die gleichzeitig die Fahrer der Autos wurden, die das Unternehmen produzierte.
Der Unterschied besteht darin, dass Ford den Lohn seiner Mitarbeiter verdoppelte und die Arbeitszeiten verkürzte, damit sie zu potenziellen Autokäufern wurden und damit die amerikanische Mittelklasse kreierten. Solche Maßnahmen muss Amazon heute, Zeit des schon etablierten Konsumverhaltens und der sakrosanten Imunität des Konzerns, nicht ergreifen. Sie brauchen es nicht. Sie sind Amazon, verstehen Sie nicht?
Vor ein paar Wochen sah ich im Internet das Filmplakat von Fritz Langs Metropolis und plötzlich funkte etwas mit der unruhigen Koherenz der Zeitgenössigkeit: Die Realität, die Amazon vertritt, ähnelt dem Film wie eine verdammte Prophezeiung.
Metropolis: Auf der Weltoberfäche genießt ein Teil der Menschen eine wunderschöne, utopische Welt, von der technologischen Entwicklung gesegnet, währenddessen ein anderer Teil der Menschen in den Utergeschossen derselben Welt unter schrecklichen Bedingungen arbeitet, damit die Utopie möglich ist.
Amazon: Auf der Weltoberfäche genießt ein Teil der Menschen eine wunderschöne, fast utopische Welt, von der technologischen Entwicklung gesegnet… Smartphones, Gadgets und elektronische Geräte jeglicher Art, untereinander verbunden, leicht, weder Kabel noch Sorgen, die alles, das man sich erträumen kann, für einen Rutsch des Fingers anbieten. Währenddessen arbeitet tief in den Untergeschossen derselben Stadt, die nicht Keller einer expresionistischen Hölle sind, sondern die Amazon-Lager und Callcenter sowie die WG-Zimmer von Millionen freiberuflichen Programmierern –sie „Turks“, so der selbe Amazon–, die gegen Informatiker aus Indien in der teuren westlichen Welt konkurrieren müssen, viel viel Leute die unter schlechten Arbeitsbedingungen mit scheiß Arbeitsveträgen arbeiten, damit die Utopie möglich ist.
Der Unterschied besteht darin – paradoxerweise noch schrecklicher –, dass diese zwei Arten von Menschen derAmazon-Welt dieselben sind: die schrumfende Mittelklasse, die bei Amazon kaufen will und ständig kämpfen muss, um über die Runden zu kommen. Na klar. Die Dystopien sind eben nicht mehr wie früher..
Bild: Kollage, Roboter in Metropolis, von Brigitte Helm gespielt + Amazonpacketen.